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Cover des Textes. Regentropfen in einer Pfütze.

67 Zeichen oder wie der Regen verschwand

»Und da ist gar nicht zu lachen.«
Manchmal schaut er weg, dann schürzt er seine Lippen.
Er antwortet nicht, dann weicht er aus, aber nur, weil er mich nicht versteht.
„Opa, wie kamen du und Oma eigentlich zusammen?“
Und dann beginnt er zu erzählen, wie es früher war und ohne es zu merken, haben sich die Rollen umgedreht und ich bin dran mit Nichtverstehen.

»Die Welt ist von Eisen, man kann nichts machen, sie kommt wie eine Walze an, auf einen zu, da ist nichts zu machen, da kommt sie, da läuft sie, da sitzen sie drin, da ist ein Tank, Teufel mit Hörnern und glühenden Augen drin, sie zerfleischen einen, sie sitzen da, mit ihren Ketten und Zähnen zerreißen sie einen.«
Vom Schreibtisch aus habe ich freien Blick auf den Walnussbaum im Garten meiner Großeltern.
Wenn ich könnte, würde ich mein Leben mit den Krähen tauschen. Mich auf schwingende Äste stützen, durch die Restmülltonnen wühlen und die Nüsse auf die Fahrbahn werfen. Und alles, was mich aufhält, ist gedanklich oder aus Metall.

»Da ist Licht, liebe Schweinchen, das ist Boden, schnubbert nur, sucht, für wieviel Minuten noch. Nein ihr habt recht, man darf nicht mit der Uhr arbeiten, immer nur schnubbern und wühlen.«
Mein Leben ist im gleichen Maße selbstbestimmt wie fehlgeleitet, wie alles, was ich denken kann.
Vom Nachbarhaus steigt Rauch auf und der letzte Regen ist im Herbst gefallen.
Man selbst ist immer größer als sein Schatten und was von uns ausgeht, zieht die Leuchtspur nach sich, mehr noch als die Spur, die wir im Boden lassen, aber weniger als das, was unbewusst passiert, was in den Zwischenräumen lebt, was unterhalb der Farbe steht, doch noch nicht zur Leinwand durchgedrungen ist.

»Er geht in die Freiheit, die Freiheit hinein, die alte Welt muss stürzen, wach auf, die Morgenluft.«
Bedrückend ist die Gewissheit, dass die Welt noch immer da sein wird, auch wenn ich nicht aufstehe.
Ich wühle mich durch Nebelwälder, suche Osterglocken, die ich aus der Erde steche. Doch der Boden hat seit Wochen keinen Regen mehr gesehen.
Wenn ich an mir herunterblicke, verschwindet meine Hand im Nichts. Ich sehe nicht, was sie berührt.
So muss es sich anfühlen, blind zu sein und obwohl ich nicht im Ansatz weiß, wovon ich spreche, keimt eine Verbindung in mir auf und die ungewohnte Traurigkeit, dass, wenn auch so viel Licht die Welt erhellt, wir alle nur im Dunkeln tappen.

»Wir wissen, was wir wissen, wir habens teuer bezahlen müssen.«
Die Kreise beginnen sich zu schließen. Wenn der Anfang schon kein guter war, wird auch das Ende keines sein.

»[. . . ] man muss sich nach der Decke strecken.«
Stillstand wird, wie so oft, mit dem Tod bestraft und so bleibt es überlassen, ob wir in die Lüfte steigen oder in die Erde fahren.
Auf jedem dieser Wege liegt ein Scheitern. Doch aus jedem Scheitern wächst ein Neuanfang.


Textstellen in diesen Anführungszeichen »« stammen aus Alfred Döblins »Berlin Alexanderplatz«

Dieser Text erschien in Ausgabe 11 der Kollektive Literaturzeitschrift Würzburg KLW

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